Im Glanz der Zaren

Am 9. März 2014 machten sich die Baden-Württemberger Balten bei strahlendem Frühlingswetter zum traditionellen Familienausflug auf – diesmal ging es nach Stuttgart ins Alte Schloss, wo die Sonderausstellung zu den „Romanows, Württemberg und Europa“ (so der Untertitel) schon seit Monaten Besucher in ihren Bann zog. Die Ausstellung versprach im Begleittext, anhand von fünf Ehen - der Russinnen in Württemberg und der Württembergerinnen am russischen Zarenhof – zu erzählen von Prunk, Pracht und Herrlichkeit, aber auch „von Heimweh und Alltag, von Glaube und Mythos, und vom Austausch zwischen Russland und Württemberg in Bildung, Wissenschaft und Wirtschaft“.

 

Wir, 32 Balten und Gäste, waren also sehr gespannt! Umsichtig organisiert vom bewährten „Team“ der Familien Buchholtz und Heyking waren zwei Gruppenführungen gebucht worden, deren Kosten die Bezirksgruppe großzügig übernahm, nachdem das ursprünglich anvisierte Kinderprogramm mit Wappen-Malen von den überwiegend jugendlichen Familienangehörigen derer von Korff, Lingen und Wistinghausen einhellig als nicht mehr nötig dankend abgelehnt worden war. Eine der beiden Führungen bemühte sich dafür dann besonders, auf die möglichen Wissens-Interessen der Jugendlichen gesondert einzugehen.

 

Die Ausstellung stand unter dem Motto „5 Ehen, 4 Generationen, eine Geschichte“ und beleuchtete die besondere Beziehung des Hauses Romanow mit Württemberg, das als wichtig genug im damaligen europäischen Machtgefüge erachtet wurde, dass  fünfmal Hochzeiten gefeiert wurden. Die berühmtesten „Zarewnas“, also russische Prinzessinnen, die Württembergische Königinnen wurden, kennt man heute noch, nicht zuletzt durch ihre Präsenz als Namensgeberinnen: wer hat in Stuttgart nicht schon mal vom Katharinen-Hospital gehört, oder vom Olga-Hospital für Kinder, heute noch liebevoll „Olgäle“ genannt, oder vom Wera-Heim für erwerbstätige oder alleinerziehende Mütter und ihre Kinder? Nicht ganz so präsent waren uns dagegen die württembergischen Prinzessinnen, die nach Sankt Petersburg gingen und unter anderem Namen ein Riesenreich mit regierten – etwa die Prinzessin Sophie Dorothee, die 1776 den späteren Zaren Paul (Sohn Katharinas der Großen) heiratete und unter dem Namen Maria Fjodorowna Zarin wurde. Nicht immer wurden die Prinzessinnen auch Zarin: so heiratete Prinzessin Sophie Charlotte 1824 Großfürst Michael und nannte sich fortan Helena Pawlowna; und auch umgekehrt wurden nicht alle Russinnen Königin: es war eine Nichte der kinderlosen Königin Olga, Wera, die schon neunjährig nach Stuttgart geholt wurde, um dort dann 1874 den württembergischen Herzog Eugen zu heiraten.

 

Man erkennt an diesen vielfältigen Verbindungen zum einen den Wunsch, die beiden Reiche eng miteinander zu verweben – schließlich lag Württemberg im Herzen Europas und war durch weitere verwandtschaftliche Verbindungen eng an die anderen Dynastien gebunden, so dass sich manches politische Problem auf dem „kleinen Dienstweg“ unter Cousins und Onkeln regeln ließ (auch wenn das Württemberg nicht immer davon abhielt, sich zeitweilig auch an Allianzen gegen Russland zu beteiligen). Zum anderen zeigt sich aber auch die enge verwandtschaftliche Bindung und vielleicht ein bisschen Heimweh, das dazu führte, dass sich viele Prinzessinnen wünschten, noch weitere Familienangehörige aus der alten Heimat an den neuen Hof zu holen – woraus sich wiederum weitere Ehen ergaben.

 

Die Ausstellung bestach durch viele prunkvolle Gemälde, Porzellan und Kleidung, manches erstmals aus der Eremitage verliehen, sowie ganz persönliche Gegenstände wie Tagebücher und Briefe der Eheleute – von denen manche davon trotz der eher unromantischen Umstände ihrer Verheiratung offenbar sehr glücklich miteinander wurden. Interessant waren dabei vor allem die Tagebücher der Bediensteten, etwa Olgas Hofdame Eveline von Massenbach, die nicht nur Details aus dem königlichen Alltag berichteten, sondern ihre Erinnerungen auch mit Aquarellen ausschmückte, so daß man heute weiß, wie es hinter den Palastmauern in den Zimmern aussah. Eine besondere Stärke der Ausstellung waren zudem die „Ausblicke“ aus dem Palastfenster in das reale Leben: da sah man Armut und Elend auf dem Land, aber auch einen Exkurs zur Erziehung im 18. Jahrhundert und insbesondere bei Hofe, zur Architektur und Städtebau, aber auch zur Zeitgeschichte, ihren Revolutionen und Straßenschlachten.

Beim anschließenden gemeinsamen Kaffeetrinken in der Alten Kanzlei direkt nebenan wurde eifrig diskutiert, welchen Interessen diese Heiratspolitik damals folgte, und welche Freiräume sich dabei ergeben konnten – manch einer war doch sehr beeindruckt von der zweijährigen Europareise des jungen Zarenpaars Paul und Sophie alias Maria Fjodorowna…

 

So ging ein gelungener Ausflug und Frühlingstag in gemütlicher Runde zu Ende, und unser Dank gilt den Organisatoren für den wunderbaren Nachmittag!

 

Kerstin v. Lingen